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Artikel: Design-Vorbild DänemarkGesellschaft mit Design gestalten

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Mein Vortrag steht im Zeichnen einer Botschaft: Wir brauchen gestalterisch ausgebildete Menschen auf allen Ebenen der Gesellschaft, und zwar nicht nur als Formgeber sondern auch als Entscheidungsträger, als Politiker, in der Verwaltung, als Administratoren. Ich hätte sie auch gerne in der Schule. Manchmal wird polemisch behauptet, dass gute Gestaltung Geschmackssache ist. Dem stimme ich nicht zu. Es gibt Ausbildungen und Kriterien dafür, sodass man sie bewerten kann.
Gestaltung hat etwas mit Sinnlichkeit und der Wahrnehmung unseres Umfelds zu tun. Zum Beispiel hat der Künstler Olafur Eliasson im Louisiana Museum of Modern Art in Kopenhagen einen Innenraum mit Steinen aus Island ausgelegt und einen Wasserlauf darin installiert. Man spürt wie es unter den Füßen knirscht, wenn man darüber läuft, die sinnliche Wahrnehmung der Natur wird geschärft. Sinneseindrücke sind eine Quelle für Erkenntnisse. Die Fähigkeit zu spüren, was im Raum, in der Stadt, in der Natur oder in der Gesellschaft vor sich geht, ist wertvoll und notwendig. Wenn die Welt uns zu wenige Möglichkeiten bereitstellt, etwas Sinnliches zu erleben, dann verarmt die Gesellschaft. Sie verliert das Bewusstsein für den Wert der Umwelt und damit auch für ein nachhaltiges Handeln.

Es gibt eine Bandbreite von aktuellen gesellschaftlichen Themen, mit denen wir uns auf eine gestalterische und sinnliche Weise befassen können. Öffentliche oder private Institutionen nutzen täglich verschiedene Kriterien, um Entscheidungen zu fällen. Vor allem ökonomische Überlegungen spielen dabei eine wichtige Rolle, aber auch Sicherheit, Gesetze, Gewohnheiten und der Wachstumszwang. Dadurch werden unsere Städte und Gemeinden geprägt und erhalten ihre physische Form. Die Räume, die wir gestalten, arbeiten mit oder gegen uns. Sie ermöglichen unser Leben und setzen ihm Grenzen.
In Deutschland wird sehr viel gebaut, aber wenig davon trägt positiv zu der Gestaltung der Gesellschaft bei. Das Gebaute regt unsere Sinne nicht an, es bringt uns nicht zum Entdecken, Staunen oder Weiterdenken.
Es ist wichtig, dass wir Menschen eine sinnliche Wahrnehmung ermöglichen und dass wir eine gute Gesellschaft und Zukunft gestalten.

Damit komme ich zu meiner zweiten Botschaft: Wenn wir von der Zukunft sprechen, dann vergessen wir zu häufig, dass die Zukunft nicht morgen sondern heute beginnt.
Wir können einiges ändern, selbst wenn die Größe Deutschlands vieles strukturell komplizierter macht als im überschaubaren Dänemark.
Im Gegensatz zu Deutschland werden in Dänemark Architektur und Design sehr aktiv als Veränderungsagenten in der Gesellschaft eingesetzt. In meinem Vortrag möchte ich einige Beispiele sowie Werkzeuge dazu aufzeigen.
In Dänemark fragen sich nicht nur Gestalter, sondern auch zunehmend Politiker, Juristen und Entscheidungsträger: Was leisten Architektur und Design, und wie können sie eine nachhaltige Entwicklung von Gesellschaft unterstützen? Wie schaffen wir durch auf Architektur und Design basierte Ansätze neue Vorstellungen von dem guten Leben und dem Gemeinwohl, das wir haben wollen?

Dänemark dient häufig als Vorbild für gute Architektur und für nachhaltige Entwicklung. Es stellt sich die Frage, was jenseits von Smart Cities, Cradle-to-Cradle, Upcycling und Green Building unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Aktuell geht es bei Nachhaltigkeit oft um die Minimierung des Energieverbrauchs und der Ressourcen, was durch die Verwendung von Technologien erreicht werden kann. Sinnliche und ästhetische Aspekte werden dabei weniger beachtet.
Deutschland ist ein Land der Ingenieurskunst und des Erfindergeists. Architekten sind hier Diplomingenieure und haben eine höhere Verantwortung als in anderen Ländern. In Deutschland ist man technikgläubig, man liebt das Auto und ist weltweiter Vorreiter auf diesem Gebiet. Das Auto ist auch ein Statussymbol, ein Teil des Gehaltpakets. Im Gegensatz dazu investieren die Dänen ihr Geld in ihre Wohnungen. Die sind gut gebaut, gut eingerichtet und gut beleuchtet. Gäste werden gerne dahin eingeladen. Das Bewusstsein für Gestaltung liegt dort durchschnittlich höher als in Deutschland.

Ein letzter Punkt: Die Gemeinschaft ist in Dänemark ausgeprägter als in Deutschland. Es gibt dort eine größere Mittelschicht. Und es gibt mehr Raum für Begegnungen im Alltag, weil in Dänemark mehr öffentliche Orte existieren, an denen Menschen aus allen Schichten aufeinander treffen.


Sozialstaat vs. Wohlfahrtsstaat

Die Bereitschaft einer Gesellschaft, sich bewusst mit Architektur und Design auseinanderzusetzen und sie auch einzusetzen, beruht auf einer gesellschaftlichen Tradition: Dänemark ist ein Wohlfahrtsstaat. In Deutschland haben wir demgegenüber einen Sozialstaat, d.h. jeder ist sozial abgesichert, sodass niemand an Mangel leiden muss. Diese Absicherung wird vom Staat geleistet. Ein Wohlfahrtsstaat ist in Nuancen etwas anderes. In einem Wohlfahrtsstaat geht es darum, Gleichheit auf einem hohen Niveau zu schaffen. Man behebt nicht nur Mängel, sondern man initiiert auch Maßnahmen, um die Gleichheit der Menschen zu fördern.
Ein Beispiel dafür war der Baum-Boom in den Nachkriegsjahren in Dänemark. Dänemark hatte damals rund 4,5 Millionen Einwohner, und es wurden von 1950-1980 1,5 Millionen Gebäude gebaut. Diese Gebäude wurden vor allem von der öffentlichen Hand errichtet, um die Idee des Wohlfahrtsstaats umzusetzen und der breiten Bevölkerung die Möglichkeit für ein besseres Leben zu geben.

Bei den neuen Administrationsgebäuden, die gebaut wurden, achtete man darauf, größtmögliche Kontaktflächen zwischen den Bürgern und der Administration zu schaffen, um eine größere Offenheit zu erhalten. In den Schulen ging es darum, warme und robuste Milieus zu schaffen, die eine Art Werkstattcharakter hatten. Auch mussten neue technische Anlagen errichtet werden. Die meisten Kraftwerke lagen wegen der Kohlenlieferungen entlang der Küste, wodurch die Landschaft ästhetisch beeinflusst wurde. Ab den 60er Jahren haben die Elektrizitätswerke gemerkt, dass sie nicht nur technische und finanzielle Entscheidungskriterien für den Bau der Werke einsetzen konnten, sondern dass sie auch mit guten Architekten zusammen arbeiten mussten, um die Landschaft ansprechend gestalten zu können. Außerdem wurden Gymnasien, Zentralschulen, Universitäten und Studentenwohnheime errichtet. Auch Krankenhäuser wurden gebaut und künstlerisch gestaltet. Dem lagen Überlegungen zu Grunde, dass Architektur gleichzeitig heilend und effektiv sein kann.
Der Staat war der Motor für die Gebäude des Wohlfahrtstaats und aus dieser Tradition heraus wird auch in Dänemark gebaut.


Was leisten Architektur und Design heute?

Im Folgenden möchte ich ein paar Beispiele aufführen, die zeigen, was Architektur und Design leisten können.
Es ist in Dänemark eine gängige Praxis, Architektur und Design als Gestaltungsmittel für die Gesellschaft einzusetzen. Das fängt bereits im Detail an, wie z.B. bei der Gestaltung eines Gullideckels für eine dänische Provinzstadt.

Letztlich geht es darum, lebenswerte Städte zu schaffen, um das Leben und Arbeiten in den Städten attraktiv zu machen. Auch der Klimawandel ist zunehmend ein großes Thema. In Kopenhagen gab es vor einigen Jahren große Überschwemmungen in Folge von Starkregen. Eine Antwort auf häufige Überschwemmungen wäre, Technologien zu finden, um das Regenwasser schnellst möglich abzuleiten. Viele Städte in Dänemark haben stattdessen aus dem Problem ein Gestaltungsthema gemacht. Die in der Innenstadt normalerweise asphaltierten Oberflächen müssen angesichts von Überschwemmungen geöffnet werden, damit das Wasser im Boden versickern kann. Das gibt den Städten die Möglichkeit, mehrere Themen zu verbinden und dabei ihre öffentlichen Plätze kreativer und natürlicher zu gestalten.

Der Gestaltungsvorschlag des Sankt Kjelds Platzes in Kopenhagen, der aktuell umgesetzt wird, besteht aus intensiv bepflanzten Arealen mit offenen Wasserauffangbecken, die als Ausgleich zu der festen Blockrandbebauung wirken. Eine solche Platzgestaltung bringt eine hohe Lebensqualität mit sich und kombiniert Methoden zum Umgang mit dem Klimawandel mit Möglichkeiten für Bewegung, Erholung, Gesundheit und Lernen.
Bürgernähe ist ein weiteres Thema. In der Kommune Viborg gab es vor einigen Jahren eine Kommunalreform, bei der sechs Gemeinden zusammengelegt wurden. Ein neues Verwaltungsgebäude sollte entstehen, in dem 800 Mitarbeiter einen Arbeitsplatz finden mussten. Man gestaltete ein über mehrere Geschosse offenes Gebäude, in dem keine Sichtgrenzen zwischen dem Eingangsbereich für die Bürger und den Arbeitsplätzen der Verwaltung existierten.

Besonders wichtig ist auch die Gestaltung von Ganztagsschulen und Kinderkrippen – da in Dänemark auch Männer berufstätig sind. Schulen sowie Krippen haben den Anspruch, dort Aktivitäten von unterschiedlichem Format stattfinden zu lassen.

Zudem sollte es Ruhezonen sowie Gemeinschaftsplätze geben. Die Qualität der Architektur einer Schule hat besonders prägende Auswirkungen auf die Kinder.

Ein schönes Beispiel ist ein Kindergarten in Østerbro. Durch den Bau einer Rampe auf dem Dach bekamen die Kinder die Möglichkeit, ihre Motorik durch das Klettern auf der Rampe zu üben.
Im dänischen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig 2016 war das Thema ‚Art of Many‘. Wie schaffen wir Gebäude für alle Menschen im Wohlfahrtsstaat? Da wurden diese vielen großartigen Projekte gezeigt. Die deutsche Architekturpresse hatte das zwar als Leistungsschau abgetan, doch vielleicht sollte man sie als Ermutigung verstehen. Denn auch wenn dies alles leicht machbar aussieht, lassen sich solche Projekte weder in Deutschland noch in Dänemark leicht umsetzen.


Gesellschaft mit Design gestalten!
Ich möchte jetzt drei konkrete Beispiele aus meinem Arbeitsleben aufzeigen, bei denen ich die Möglichkeit hatte, Gesellschaft ziemlich konkret mit Architektur zu gestalten.

Erstens: Was der Minister nicht wusste
In meinem Beruf als Architektin war ich eine Zeit lang als Bauherrenvertreterin im dänischen Wissenschaftsministerium tätig. Ich war zuständig für die Planung mehrerer großer Universitätsgebäude, d.h. ich musste die Voraussetzungen für den Neubau der Gebäude schaffen. Um ein Beispiel meiner Arbeit zu geben, stelle ich den Fall der University of Southern Denmark in Kolding dar.
Die Universität plante einen Neubau, der dem alten Gebäude ähneln sollte: Flure mit Büros und Seminarräumen. Wir haben jedoch mit Hilfe einer Programmanalyse alternative Skizzen gemacht, mit Bildern, mit Diagrammen, und damit genau das getan, was Architekten und Designer können, nämlich andere Vorstellungen in die Köpfe der Menschen bringen und dadurch eine Gesprächsbasis für alternative Ideen zu schaffen. So konnten wir im Dialog die Nutzer auch für eine andere Gestaltung der Räumlichkeiten begeistern. Wichtig ist, dass es sich dabei um keinen teuren Vorschlag handelte. Das Projekt hatte ein Normalbudget, denn es war lediglich ein Universitätsgebäude in Jütland, in der Provinz.
Bis vor kurzem habe ich bei Henning Larsen Architects gearbeitet, die damals den Zuschlag für den Bau der Universität bekamen, und konnte so verfolgen, wie das Gebäude entstand. Der jetzt fertig gestellte Universitätsbau lädt zum Aufenthalt und gemeinschaftlichen Arbeiten ein, auch am Wochenende. Diesen Erfolg spreche ich der offenen, künstlerischen Gestaltung zu.

Ein Schlüsselerlebnis während meiner Zeit im Wissenschaftsministerium war die Überraschung des Wissenschaftsministers, als er erfuhr, dass ich als Architektin bei ihm angestellt war. Wenn der politische Leiter des größten öffentlichen Bauherrn nicht daran gedacht hatte, Architekten mit an Bord zu holen, dann bedeutet das auch, dass von ihm Architektur nicht als relevantes Mittel wahrgenommen wurde, um seine Ziele zu erreichen.
Das war für mich ein Schlüsselerlebnis, weil es mir aufzeigte, woran ich arbeiten musste: Ich musste informieren. Daraufhin habe ich Bücher zum Thema Campusplanung mitverfasst und herausgegeben. Die internationale Forschung, die ich und meine Kollegen in diesen Büchern präsentiert haben, hat erhebliche finanzielle Mittel für dänische Universitätsgebäude im Staatshaushalt generiert und auch eine Gesetzesänderung initiiert, das nun multifunktionale Nutzungen des Campus‘ ermöglicht.
In Dänemark hatten wir zuvor, ähnlich wie in Deutschland, monofunktionale Universitätsgelände, die ausschließlich für die Lehre und Forschung genutzt wurden. Diese Monofunktionalität wird auch gerade in Deutschland in Frage gestellt. Es geht darum, dass neben den universitären Gebäuden Wohnungen sowie Start-ups und Läden auf Universitätsgelände zugelassen werden.
Wichtig ist es, nicht nur aus dem architektonischen, sondern auch aus einem anderen Diskurs zu argumentieren, denn eine attraktive Gestaltung von Universitäten wirkt sich in vielerlei Aspekten positiv auf die Studierenden und Lehrenden aus.


Zweitens: Denkweisen ändern
Gestalterisches Denken kann und muss auch in der globalen Wirtschaft benutzt werden, weil heute globale Unternehmensgruppen unsere Gesellschaft maßgeblich mitgestalten. Ich habe knapp zwei Jahre für IKEA gearbeitet und die Planung für einen internationalen Sustainable Pilotstore begleitet.
Ein Neudenken der Blue-Box an der Autobahn war notwendig, da für den Konzern das alte Design nicht mehr zeitgemäß war und stattdessen andere Qualitäten wie Tageslicht, hochwertiges Material, Multifunktionalität und städtische Dichte relevant wurden. IKEA hatte sich gefragt, wie es den nachhaltigen Anspruch, den es an seine Möbelproduktion hat, auch in seinen Gebäuden weltweit sichtbar machen konnte. Ausgehend davon wurde die Gestaltung von zwei Pilotstores, einer in Japan und einer in Deutschland, in Auftrag gegeben. Wir bei Henning Larsen Architects waren mit der Gestaltung des Stores in Düsseldorf beauftragt. Elemente des Pilotstores sollten dann in alle neuen Filialen weltweit implementiert werden.
Eine Umgestaltung wie z.B. die Einführung von Tageslicht in die Verkaufsflächen hat natürlich Auswirkungen auf den rationalen Flow, den Verkaufsfluss, für den IKEA beliebt ist. Das heißt, dass man als Architekt zwischen Wirtschaftlichkeit, dem Selbstbild und Visionen abwägen muss. Dem Unternehmen kann der kreative Prozess des In-Frage-Stellens helfen, einen Change Management Prozess in Gang zu setzen.

Drittens: In Frage stellen
Letztes Beispiel: Manchmal ist man als Gestalter für die Planung eines Baus nicht zuständig, doch trotzdem müssen die Vorgaben der Auftraggeber kritisch in Frage gestellt werden. Das In-Frage-Stellen hat uns damals bei Hennung Larsen Architects bei einem Projekt in Stuttgart sehr geholfen, denn es führte schließlich dazu, dass wir es anders gestalteten, als es ursprünglich in der Auslobung gedacht war.
Der Landtag in Stuttgart sollte um ein Bürger- und Medienzentrum direkt nebenan erweitert werden. Da das Gebäude des Landtags unter Denkmalschutz steht, war es eine Vorgabe, das Zentrum unterirdisch mit möglichst unsichtbaren Zugängen zu errichten.
Die Vorgaben waren hinsichtlich des Denkmalschutzes nachvollziehbar. Trotzdem erschien es uns nicht als das Richtige für ein Bürger- und Medienzentrum, das als neuer Eingang für den Landtag dienen sollte, und für die Presse sowie interessierte Besucher gedacht war, um sich darin über die Arbeit im Landtag zu informieren. So entstand die Idee, das Zentrum zwar unter der Erde zu errichten, wie das auch vorgegeben war, aber den Boden zu öffnen, um das Zentrum in eine Agora münden zu lassen. Durch die Agora kann man das Zentrum betreten, gleichzeitig ist sie ein öffentlicher Außenraum und bietet Platz für Begegnungen.


Werkzeuge für die Gestaltung
Welche Strukturen und Maßnahmen unterstützen die Wertschätzung von Architektur und Design in Dänemark? Eine wichtige Förderungsinstitution für die gebaute Umwelt ist die die gemeinnützige Stiftung Realdania des größten Kreditinstituts Dänemarks. Das Kreditinstitut vergibt Kredite für Wohnimmobilien und hat ein Interesse daran, dass es zu einer Wertsteigerung oder -erhaltung der Immobilien kommt. Deshalb hat es eine Stiftung gegründet, die Maßnahmen zur Qualitätssteigerung von Städten und Gemeinden fördert. Seit dem Jahr 2000 hat die Stiftung in Dänemark mit über zwei Milliarden Euro die Entwicklung von Städtebau und Architekturprojekten mitfinanziert.
Ein Thema dabei ist die Gestaltung von ‚Städten für Menschen‘. Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Dänemark schwache Regionen, die gezielte Aufmerksamkeit verlangen. Ziel dabei ist in Dänemark jedoch weder Wachstum noch Abbau, sondern Umstellung. Mit Hilfe der zentralen Förderung werden viele vernünftige und inspirierende Projekte in diesen Regionen initiiert.
Ein weiteres Werkzeug ist das Design Thinking in der öffentlichen Verwaltung. Daraus hervor gegangen sind die sogenannten Mind Labs. Durch sie werden immer wieder Projekte gefördert, die irgendeine Art von Neudenken gebrauchen können. Dafür setzen sich verschiedene Berufsgruppen, auch Designer, Architekten und Geisteswissenschaftler, zusammen. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit in der dänischen Steuerbehörde, die über viele Jahre hinweg versucht hat, eine bessere Kommunikation mit den Bürgern zu erreichen. Das funktioniert inzwischen ziemlich gut, und sie hat die nötigen digitalen Werkzeuge dafür entwickelt.
Ich glaube, nicht extra erwähnen zu müssen, dass es ebenfalls gezielte Maßnahmen gibt, um im Schulunterricht Architektur zu vermitteln.

Das beste Werkzeug kommt zum Schluss: die Architekturpolitik. Sie ist ein wichtiges strategisches Werkzeug der dänischen Regierung, um die politischen Ziele zu formulieren, die mit Hilfe der Architektur für unsere Gesellschaft erreicht werden sollen. Jede dritte der 98 dänischen Kommunen hat inzwischen eine Architekturpolitik und weitere Kommunen folgen.
Was bedeutet Architekturpolitik? Es ist keine Gestaltungsfibel, die vorgibt, welche Neigung die Dächer haben sollen. Die Architekturpolitik verfolgt vielmehr den Ausbau einer nachhaltigen Architektur, die Gestaltung von Stadträumen, die zu einem vielfältigen Stadtleben führen sollen, aber auch zu Prozessen, die architektonische Qualität und Nachhaltigkeit nach sich ziehen.
Die Existenz einer Architekturpolitik stärkt jede einzelne Stadt. Wenn z.B. ein Investor kommt und irgendetwas hinstellen möchte, stärkt es die Menschen in der Verwaltung darin, diese Idee kritisch zu überprüfen und möglicherweise gegen sie zu argumentieren. Es ist ein Werkzeug, um den öffentlichen Interessen Rückendeckung zu geben, die in einer Verwaltung unter einem hohen ökonomischen Druck stehen.
Was leistet Architektur? Natürlich muss sie gut und konsequent gestaltet und umgesetzt sein, doch sie muss vor allem etwas leisten – für die Gesellschaft. Und was das sein könnte, überlegen wir uns vorher.
 

Und wie geht es weiter...?
Das ist mein Plädoyer dafür, dass der Architektur- und Gestaltungsansatz die notwendige Ergänzung und das Komplementär zu unserem technischen, rationalen und wirtschaftlichen Denken ist.
Meine Stadt Kopenhagen ist bekannt für ihre Fahrräder, das nachhaltige Leben und den glücklichen Alltag miteinander. Wir sind angeblich das glücklichste Volk der Welt. Kopenhagen investiert seit Jahrzehnten in die physische Stadtentwicklung. Ein Beispiel ist die Cykelslangen-Brücke. Es war nicht günstig, diese sehr aufwendige Brücke zu bauen, doch verbindet sie zwei Stadtteile, die davor vom Hafen getrennt waren. Man spart sich jeden Morgen 15 Minuten mit dem Fahrrad und hat von ihr einen sehr schönen Blick auf den Hafen von Kopenhagen.

Mit einem Projekt wie diesem verdient die Stadt sogar Geld, weil es Lebensqualität erzeugt und die Stadt attraktiv und fit für den globalen Wettbewerb macht.

Vielleicht braucht man die Fahrradkultur nicht eins zu eins auf Deutschland zu übertragen. Man könnte sich aber überlegen, wie man die Eigenheiten dieses Landes und seiner Städte nutzen kann, um die Gesellschaft so zu gestalten, dass es den zukünftigen Generationen nicht schlechter geht als der heutigen.

Auf dem dänischen Pavillon der Biennale 2014 stand: Empowerment of Aestetics – die Ermächtigung der Ästhetik. Um den Schriftzug am Pavillon war ein Baustellenzaun gezogen. Der kann als Symbol dafür verstanden werden, dass wir noch nicht da sind, wo wir hin wollen. Ich träume davon, dass wir eine Agenda für die Zukunft setzen und anderen Menschen den Mut geben, indem wir uns für Qualität in der physischen Gestaltung unserer Gesellschaft einsetzen. Und diese Zukunft beginnt heute.


Artikel: Gesellschaft mit Design gestalten - Design-Vorbild Dänemark,
Mikala Holme Samsøe


Jahr: 2017
Artikel in: POLITISCHES DESIGN - DEMOKRATIE GESTALTEN.
Dokumentation des Kulturpolitischen Forums Tutzing. Herausgeber: Christine Fuchs, STADTKULTUR

Netzwerk Bayerischer Städte e.V.


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